Leistungsverträge: NGO tragen das wirtschaftliche Risiko

Von: Salome Schaerer

COVID19 zeigt: soziale Institutionen sind unterfinanziert.

Die sozialen Institutionen des Staates und der Kantone sind unterfinanziert, das lässt sich nach Wochen der Covid-19-Massnahmen nicht mehr leugnen. Ebenso ist deutlich geworden, dass nicht die Mittel für eine bessere Finanzierung fehlen, sondern der politische Wille, der gemeinnützigen Arbeit im Allgemeinen den Stellenwert einzuräumen, der ihr zusteht. Gleich sieht die Situation aus bei den gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die im Auftrag des Staates, der Kantone oder der Gemeinden Aufgaben übernehmen, für die das Gemeinwesen – also die öffentliche Hand – die Verantwortung trägt. Auch sie sind, wie wir jetzt gerade feststellen können, systemrelevant.


NGO unterstützen und beraten Menschen, für die das Leben aus diversen Gründen erschwert ist: Stellensuchende, Obdachlose, Geflüchtete, Migrant*innen, Opfer von häuslicher Gewalt, fremdplatzierte Kinder, pflegebedürftige Pensionär*innen, körperlich oder psychisch beeinträchtigte Personen, Menschen in Vollzugsprogrammen und viele mehr. Zu den Organisationen gehören unter vielen anderen Sprach-, Berufsbildungs- und Beratungseinrichtungen oder Organisationen für betreutes und begleitetes Wohnen.


NGO informieren, planen Projekte, entwickeln Strategien und neue Handlungsweisen im Bereich des Tier-, Umwelt- und Klimaschutzes: sie beraten Verwaltungen, Organisationen und Firmen, setzen sich praktisch, wissenschaftlich und politisch ein für Biodiversität, erneuerbare Energien, gesunde Bienen und Bäume, saubere Luft und Meere und den Abbau der Nutzung fossiler Energieträger, um nur wenige der unzähligen Aktionsfelder zu nennen.


NGO organisieren, komponieren, projektieren, bespielen und arrangieren im Kulturbereich, was unsere Herzen bewegt und uns in die – aber auch aus der – vertrauten Komfortzone lenkt: als Organisator*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen, Veranstalter*innen, Kurator*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen, Kollektive und viele mehr.


NGO sorgen als Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen global für mehr Gleichberechtigung und die Einhaltung von Menschenrechten: über Bildungsprojekte im Bereich der Grundbildung, der fachlichen Berufsbildung, der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichberechtigung, der Grundversorgung und des Umweltschutzes etc.


Gemeinnützige Organisationen übernehmen eine wichtige Position in der Gesellschaft – hier und überall auf der Welt. Sie sind systemrelevant, deshalb gilt es sie weiterhin zu stärken!

Quantität steht vor Qualität
Die meisten NGO arbeiten unter Leistungs- und Mandatsverträgen. Leistungsverträge werden im Submissionsverfahren unter fast ausschliesslicher Berücksichtigung finanzieller Aspekte an Projekte vergeben. Der tiefste Preis zählt. Die Qualität ist zweitrangig. Arbeitsbedingungen sind drittrangig. Adäquate Aus- und Weiterbildungen sind viertrangig. Erfahrung ist fünftrangig. Das heisst, fortschrittliche Arbeitsbedingungen sind nur selten Bestandteil von Leistungsverträgen. Das wirtschaftliche Risiko wird jedoch zu einem Grossteil auf NGO abgewälzt. Gemeinnützigen Organisationen, die Leistungsverträge eingehen, ist es oft untersagt, finanzielle Überschüsse zu generieren. Falls sie Ende Jahr schwarze Zahlen schreiben, werden sie verpflichtet, Geld aus Leistungsverträgen zurückzubezahlen, oder sie riskieren im nächsten Jahr Kürzungen bei den Beiträgen. Die Konsequenz daraus ist, dass gemeinnützige Organisationen keine Reserven in Form von Rückstellungen bilden können.


Die gegenwärtige Situation unter den Covid-19-Massnahmen zeigt deutlich auf, wie wichtig Reserven wären. Nur mit genug grossen Reserven kann sichergestellt werden, dass auch in ausserordentlichen Situationen die Löhne für ein paar Monate weiterbezahlt werden können. Da Leistungsverträge in der Regel für wenige Jahre abgeschlossen werden, ist das Risiko von unumgänglichen betriebswirtschaftlichen Massenentlassungen in der Branche der gemeinnützigen NGO besonders gross. Rückstellungen für einen Sozialplan sind daher zwingend, wie die finanziellen Engpässe einiger NGO in der gegenwärtigen Situation verdeutlichen. Gemeinnützige Organisationen «springen ein», wo der Staat sich zurückzieht – gleichzeitig sind sie aber mit Finanzierungsproblemen konfrontiert, über deren Lösung sie nicht oder nur teilweise entscheiden können.


VPOD-NGO fordert, dass die Konditionen von Leistungsverträgen dahingehend überarbeitet werden, dass sowohl die Qualität der Angebote als auch die Arbeitsbedingungen in den Organisationen einen hohen und relevanten Stellenwert erhalten. Insbesondere müssen folgende zwingenden Bedingungen für Leistungsverträge geschaffen werden:
1. Die Schaffung von zweckgebundenen Notreserven für ausserordentliche wirtschaftliche Risiken.
2. Die Äufnung von Sozialplanfonds zur Abfederung personalpolitischer Massnahmen, wie zum Beispiel unumgängliche betriebswirtschaftliche Massenentlassungen.
3. Fortschrittliche Arbeitsbedingungen, die sich an öffentlichen Verwaltungen und Branchen-GAV orientieren.