Gleichstellung konkret

Viele Organisationen bekennen sich zur Gleichstellung der Geschlechter. Aber wie kann sie konkret vorangetrieben werden?

Viele Arbeitgeber:innen – besonders in der NGO-Branche – schreiben sich die Gleichstellung, Chancengleichheit und soziale Verantwortung auf die Fahne. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich die Arbeitsverhältnisse dann aber alles andere als rosig: Auch in der NGO-Branche gibt es noch viel Aufholbedarf. Die Löhne sind in weiblich konnotierten Tätigkeiten weiterhin zu tief und Lohnentwicklungen oft nicht vorgesehen. Der Frauenanteil in Führungspositionen ist unterdurchschnittlich, auf den unteren Hierarchiestufen und in tieferen Pensen dafür umso höher. Lohntransparenz ist nicht überall gegeben. Es fehlen klare Regelungen gegen alle Formen von Belästigung und Diskriminierung, insbesondere gegen sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz. Die Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten muss dringend verbessert werden.

All diese Beispiele zeigen: Gleichstellung ist weit mehr als ein Bekenntnis zu „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. In diesem Merkblatt wollen wir Aspekte aufzeigen, die beachtet werden sollten. Angestellte und Arbeitgeber:innen können sie aufnehmen und so einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten.

Lohngleichheit

Zahlen und Fakten: Dossier Lohngleichheit des VPOD

Gleichstellung wollen wir auch im Portemonnaie! Der Grundsatz der Lohngleichheit für Frau und Mann ist seit 1981 in der Bundesverfassung verankert und seit 1996 im Gleichstellungsgesetz konkretisiert. Die Lohngleichheit ist aber bis heute nicht verwirklicht. Die Lohndifferenz zwischen Einkommen von Frauen und Männern ((Gender Pay Gap) beträgt rund 18%, Tendenz steigend. Rechnet man die unbezahlte Arbeit hinzu (Gender Overall Earnings Gap. GOEG), beträgt der Unterschied gar 43%. Das bedeutet für die Frauen in der Schweiz 100 Milliarden Franken weniger Einkommen pro Jahr, obwohl sie gleich viel arbeiten wie Männer. Da wir diese Umstände nicht auf einmal ändern können, empfehlen wir im Folgenden mögliche Schritte in eine bessere Richtung:

Lohntransparenz

Ein Mittel gegen einen Gender-Pay-Gap ist Lohntransparenz in der Organisation. Lohntransparenz ist eine wichtige Massnahme zur Überprüfung, ob die Grundsätze «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» und «gleicher Lohn für unterschiedliche, aber gleichwertige Arbeit» eingehalten werden.

Lohntransparenz dient der Konsolidierung einer gerechten und nachvollziehbaren Lohnpolitik – gerade auch bei der Einführung eines neuen Lohnsystems – und sie ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung des Arbeitsklimas: Es wird eine Kultur geschaffen, in welcher offen über Löhne gesprochen werden kann. In einem fortschrittlichen und solidarischen Betrieb – der zudem zum grössten Teil von Spenden und öffentlichen Geldern abhängig ist – sollte auch der Lohn kein Tabu mehr sein.

Verbindliche Lohnsysteme

Verbindliche Lohnsysteme verhindern, dass Löhne zur Verhandlungssache werden, und sich eine ungleiche Bezahlung etabliert. Lohnreglemente sollten in Zusammenarbeit mit dem Personal und allenfalls den Sozialpartnern erarbeitet und regelmässig überprüft werden.

Regelmässige Überprüfung der Löhne

Ergänzend zu einem transparenten und nachvollziehbaren Lohnsystem sollte die Lohngleichheit regelmässig überprüft werden, um sicherzustellen, dass keine geschlechterspezifische Lohndiskriminierung in der Organisation existiert. Mit dem revidierten Gleichstellungsgesetz (GlG) sind seit Juli 2020 alle Arbeitgebenden in der Schweiz mit 100 oder mehr Mitarbeitenden dazu verpflichtet eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen und von einer unabhängigem Stelle überprüfen zu lassen. Der Bund stellt hierfür das Standard-Analyse-Tool Logib (Logib 1) zur Verfügung. Häufig beschäftigen NGOs weniger als 100 Mitarbeitende und sahen sich daher nicht in der Pflicht, die Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Mit Logib können sie aber selbst überprüfen oder extern überprüfen lassen, ob die Lohngleichheit in ihrer Organisation eingehalten wird. Auch kleine Organisationen mit weniger als 50 Mitarbeitenden steht mit Logib 2 ein Instrument zur Verfügung, um die Lohngleichheit zu überprüfen.

Gleichbehandlung von Mitarbeitenden in Voll- und Teilzeitstellen

Frauen arbeiten öfter in Teilzeitpensen. Bei allen relevanten Leistungen sollte darauf geachtet werden, dass auch Teilzeitangestellte in ihren Genuss kommen. Dass ist etwa Unterstützung von Weiterbildungen, Freitage oder Spesen.

Abgefedert werden sollte ausserdem die Benachteiligung in der 2. Säule: In der Pensionskasse wird nur versichert, wer mehr verdient als der so genannte „Koordinationsabzug“ (ca. 25’000 Franken). Dabei muss nur der Einkommensteil versichert werden, der über dem Koordinationsabzug liegt (=„koordinierter Lohn“). Bei einem Einkommen von 70’000 Franken werden also 45'000 in der Pensionskasse versichert, bei einem Einkommen von 35’000 hingegen nur 10’000. Wir verlangen deshalb, dass der Koordinationsabzug im Verhältnis zum Beschäftigungsgrad festgelegt wird. Bei einem Beschäftigungsgrad von 50% müsste also der Koordinationsabzug 12’500 Franken betragen.
Variante: Es wird nicht nur der „koordinierte“, sondern der ganze Lohn versichert.

Vereinbarkeit von Lohn- und Care-Arbeit

Der überwiegende Teil der (bezahlten und unbezahlten) Care-Arbeit wird von Frauen verrichtet. Vor allem die Betreuung von Kindern, betagten oder kranken Angehörigen nimmt viel Zeit in Anspruch. Es ist deshalb im Hinblick auf die Gleichstellung besonders wichtig, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, bei denen die Lohnarbeit mit der Care-Arbeit vereinbart werden kann.

Arbeitszeitreduktion

Es liegt auf der Hand: Eine Reduktion der Arbeitszeit führt zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungsaufgaben. In der NGO-Branche sind heute 40 Stunden pro Woche der Standard. Die Frauenkomission des VPOD fordert eine 32-Stunden-Woche. Die Wochenarbeitszeit kann in einem Personalreglement oder in einem GAV festgelegt werden.

Flexibilität und Verbindlichkeit bei der Arbeitsplanung

Arbeitnehmer:innen, die Kinder oder Angehörige betreuen, sind darauf angewiesen, dass Arbeitszeiten lange im Voraus geplant werden. Die Arbeit sollte deshalb so organisiert werden, dass möglichst keine spontanen Einsätze und Überstunden anfallen.

Teilzeit und Job-Sharing in Führungspositionen

Personen die Care-Arbeit leisten, können oft lediglich Teilzeitstellen annehmen. Gerade in Führungspositionen wird aber häufig ein 80%- oder 100%-Pensum erwartet, was dazu führt, dass der Frauenanteil in solchen Positionen auch in der NGO-Branche unterdurchschnittlich ist. Um dem zu begegnen, sollten NGO Teilzeit- und Job-Sharing-Modelle auch in Führungspositionen fördern.

Grosszügige Absenzenregelungen für Mitarbeiter:innen mit Betreuungsaufgaben

Es gibt gesetzliche Regelungen für die Betreuung kranker Kinder oder zur Pflege Angehöriger: Erkrankt das eigene Kind oder die Person, welche sich üblicherweise um das Kind kümmert, hat eine Arbeitnehmer:in Anspruch auf 3 Tage bezahlte Absenz. In dieser Zeit soll eine Ersatzlösung gefunden werden. Ebenfalls 3 Tage Absenz steht bei der Erkrankung naher Angehöriger zu, allerdings für maximal 10 Tage pro Jahr. Seit 2021 haben Arbeitnehmer:innen Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von 14 Wochen, bei schwerer Krankheit oder Unfall des Kindes. Einzelheiten dazu sind im Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung geregelt.

Arbeitgeber:innen können und sollten grosszügigere Regelungen gewähren. Ebenfalls sollte explizit verhindert werden, dass Home Office zur Betreuung kranker Kinder verwendet wird. Die Kinderbetreuung ist als gesetzliche Pflicht der Arbeitspflicht übergeordnet.

Elternzeit

Bezüglich Elternzeit hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich ziemlich hinterher: 14 Wochen für Mütter, 2 Wochen für den nicht-gebärenden Elternteil. Eine Verbesserung ist hier dringend nötig, um zu verhindern, dass Angestellte aufgrund von Mutterschaft einen Erwerbsausfall erleiden und die nach der Geburt intensive Betreuungsarbeit gerechter verteilt werden kann. Die WHO empfiehlt mindestens 6 Monate Mutterschaftsurlaub und die Erfahrung zeigt, dass die meisten Mütter nicht vor dieser Zeit an den Arbeitsplatz zurückkehren – wenn sie es sich denn leisten können. VPOD-NGO setzt sich deshalb für 24 Wochen Mutterschaftsurlaub und 8 Wochen Vaterschaftsurlaub bei 100% Lohnfortzahlung ein.

Weitere Infos zu Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub

Kinder- und Ausbildungszulagen

Kinder- und Ausbildungszulagen sind kantonal unterschiedlich geregelt. Arbeitgeber:innen können freiwillig höhere Beiträge entrichten.

Weiterlesen: Dossier des VPOD zu Beruf und Familie

Klare Regelungen und Prozesse gegen sexuelle Belästigung und Mobbing

Arbeitgeber:innen haben die gesetzliche Pflicht, ihre Mitarbeitenden vor sexueller Belästigung und Mobbing zu schützen. Damit dies gelingt, braucht es nicht nur das Bekenntnis zur Nulltoleranz gegenüber sexualisierter Belästigung, sondern auch klare Prozesse, wie mit Vorfällen umgegangen wird. Es sollte eine interne oder noch besser externe Vertrauensstelle definiert werden, an welche sich betroffene Mitarbeitende wenden können. Die Zuständigkeiten bei der Bearbeitung der Fälle muss geklärt sein. Regeln, Anlaufstellen und Prozesse müssen allen Mitarbeitenden bekannt sein und aktiv vermittelt werden. Ebenso braucht es regelmässige Schulungen zur Sensibilisierung für Vorgesetzte und Mitarbeitende bezüglich dieser Themen.

Weiterlesen:
Dossier des VPOD zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Gemeinsam gegen Mobbing am Arbeitsplatz

Vertretung in Mitwirkungsorganen

Damit die Interessen und Bedürfnisse aller Geschlechter berücksichtigt werden können, müssen sie auch angemessen in den Mitwirkungsorganen (PEKO, Vorsorgekommissionen, GAV-Verhandlungsdelegationen etc.) vertreten sein.

Weiterlesen: Mitwirkung und Mitbestimmung